Was ist eigentlich der falsche Zeitpunkt? Wer ist auf die
Idee gekommen, dass es einen falschen Zeitpunkt geben kann? Gibt es nicht für
alles eine Erklärung? Gibt es denn gar keinen Sinn im Leben? Was ist mit, hier…
Dings… Schicksal und so weiter?! Ich wiederhole mich, aber wer ist auf den
Schwachsinn mit dem falschen Zeitpunkt gekommen? Das ist die wohl schlechteste
Ausrede überhaupt. Dabei wollte doch nur jemand vor den eigenen Problemen
wegrennen. Nein, das nicht mal unbedingt: Sondern sich einfach nur nicht damit
auseinandersetzen.
Zurück bleibt ein anderer Jemand und ist erst mal platt. Und
dann einsam. Und dann sehnsüchtig.
Sehnsucht.
Sucht.
Jemand ist verdammt
süchtig. Nach dem Gefühl. Nach dem Geruch. Nach der Geborgenheit. Nach der
Ruhe. Nach der Gewissheit angekommen zu sein. – Gut, diese Gewissheit war im Endeffekt
ein Fall für den Restmüll, aber allein die Vorstellung an sich hatte schon
ausgereicht, um Jemand voll auf den Geschmack zu bringen. Dabei hatte sich
Jemand ganz gut im Griff. Aber wie das so ist: Wenn man sich einmal darauf
einlässt. Wenn man einmal Blut leckt. Wenn man einmal sein Herz öffnet.
Verdammt naiv, dabei ist Jemand nicht einmal blond. Tragisch.
Und jetzt hängt Jemand auf diesem gottverdammten Trip fest.
Sehnsucht macht abhängig.
Sehnsucht ist Abhängigkeit.
Abhängig von einem Gefühl, das scheinbar so flüchtig wie ein
Zwinkern ist und doch so verheerend wie ein Faustschlag sein kann. Da sitzt man
dann, Faust auf Auge, und ist zu perplex, um einen klaren Gedanken formulieren
zu können. Das Ende vom Lied: Um das blaue Auge zu verstecken, setzt man die
rosarote Brille auf und redet sich ein, dass die Bilder so verschwommen sein müssen, dass es wirklich alles so
perfekt ist! Und irgendwann ist das blaue Auge weg, die Brille weg und das
eigene Leben im Arsch, weil man jedes Problem übersehen wollte. Probleme sind
schließlich nicht rosa und schon gar nicht verschwommen, sie haben haifischzahnscharfe
Ecken und wenn man nicht aufpasst, muss ein Pflaster her. Da man oft nicht
aufpasst, muss auch oft ein Pflaster her, aber statt mal den Ursachen auf den
Grund zu gehen – Gleichgewichtsprobleme, vererbte Ungeschicklichkeit…
Beziehungsunfähigkeit?! – haut man sich
lieber ein Schmerzmittel hinter. Das ist meistens ziemlich lecker und
strohdoof, aber für eine Nacht langt’s allemal. Soll ja keine Probleme lösen,
soll ja nur Probleme verdrängen.
Und wie war das noch mit der Sehnsucht? Die kommt mit den
Schmerzen. Keine Schmerzen, keine Sehnsucht. Suchtbekämpfung – mal anders. Also ein Schmerzmittel nach dem andern. Nicht
nachdenken, einfach oral … einnehmen – wie es auf der Packung steht. Doch alles
hat ein Ende, auch Schmerzmittel sind irgendwann verbraucht oder vergeben. Und
plötzlich steht jemand anders Jemand wieder gegenüber. Ohne rosarote Brille
aber mit allen Problemen.
Hauptproblem: Der Grund der Sehnsucht – von Jemand
natürlich, nicht von jemand anderem – und dementsprechend der Grund für die
ganzen Schmerzmittel. Wo soll man da nur anfangen? Gleich beim ersten Date,
also Urschleimanfang, oder dem ersten Kuss, der ersten Nacht, dem ersten
gemeinsamen angebrannten Essen? Oder allen anderen nicht-ersten Sachen, die
aber gerade deshalb so schön waren, weil schon Zeit vergangen war, weil man
doch ab und zu die rosarote Brille absetzen wollte? Weil man anfing zu
vertrauen? Auch ein Kapitel für sich: Das Vertrauen, was ja offensichtlich im
Klo runtergespült sein sollte, ist immer noch da.
Einfach weil.
Einfach weil man nicht sauer sein kann. Einfach weil man
nicht im Streit auseinander gegangen ist. Einfach weil man eine Entschuldigung
braucht. Ein Vertrauen, dass weder Jemand noch jemand anderes verdient, weil
beide wochenlang den Schmerzmitteln frönten.
Aber man vertraut einfach. Weil. Es ja der falsche Zeitpunkt war. Und
weil Monate später schon wieder andere Zeitpunkte am Start sind. Könnte ja
sein, dass der richtige dabei ist. Nur eins sollte Jemand sich bewusst machen:
Wenn man mit jemandem einmal auseinandergegangen ist, weil es „der falsche
Zeitpunkt“ war, dann sollte man sich ernsthaft fragen, ob es sich lohnen würde,
auf den richtigen zu warten. Oder ob Der Richtige vielleicht jemand anders zu
einem anderen Zeitpunkt ist. Denn wer ewig wartet, vertrocknet. Im Herzen und
in anderen Körperteilen. Und das ist nie wünschenswert. Denn für den Notfall gibt
es haufenweise billige Schmerzmittel. Für eine Nacht. Strohdoof, aber ohne Schmerzen.
(c) Johanna Erle